Genuß ohne Reue

Im berühmten vierten Quartal, dem Jahresendzeitquartal, wachsen wieder die Schokoberge ins Unermessliche. Goldbehemde Weihnachtsmänner stehen wie die Terrakotta-Armee des chinesischen Kaisers in Qin Shi Huangdi überall herum, nehmen einem Sicht und die freie Fahrt für freie Bürger mit dem Einkaufswagen. Stoopppp und knapp die Kurve gekriegt und im Entschleunigungsvorgang eben in das Pappdisplay gegriffen. All dies ist Trost. Die Schokolade und der Zucker sind wichtige Anschubstoffe in der Biochemie, bringen ein gutes Gefühl, das neuronale Belohnungssystem kommt in Schwung.

Das mit dem guten Gefühl ist aber so eine Sache. Das nämlich am Morgen nach dem Kater zu Beginn eines jeden neuen Jahres sich in Luft auflöst – selber einmal Urlaub machen muß, weil es unter dem persönlichen Mißbrauch leidet. Und ersetzt wird durch kreative Ideen mit dem Selbst – in 5 Wochen zur absoluten Traumfigur, das sich in sematisch ähnlicher und papierrner Form demnächst wieder am jedem Büdchen findet. Welch ein Horrorszenarium – natürlich nicht die Traumfigur – sondern mehr die gefühlsmässige Selbstkasteiung, im dem Sinn, das man jetzt plötzlich auf andere und neue unerprobte Formen der Ich-Belohnung wieder umswitschen muß.

Warum aber das Ganze? Warum immer wieder auf diese leicht durchschaubaren, sinnlich temporären Einflüsse hereinfallen, die das eigene Konzept der Selbstoptimierung immer wieder über den Haufen werfen und wo doch das Gegenkonzept in unserer vernetzten Welt ganz nahe und offensichtlich ist. Und so stoße ich beim Scheiben und Recherieren dieses Artikels auf die folgenden Formulierungen, die ich selber nicht besser hingekriegt hätte. Denn „so wie die industrielle Produktion von Zucker es Menschen heute erlaubt, das Belohnungszentrum direkt anzuregen, ohne eine echte Erdbeere zu essen, in der sich neben Zucker noch Vitamine und zahlreiche andere Stoffe finden, so sind die Likes auf Facebook ein sozusagen mechanisierter Weg zu sozialer Belohnung.“

Heißt, macht nicht dick, passt also, ich brauche mir also keine weitere Sorgen um meine Gesundheit zu machen. Das mache ich nun. Ich habe bereits damit begonnen. Ich habe bereits damit begonnen, die Zahl meiner Freunde zu verdreifachen und einer gewissermassen mathematischen Logik zufolge steigt dann auch automatisch die Zahl der Likes. Super. Das tut gut und befriedigt und der Volksmund, der vor langer Zeit passend zur Jahreszeit die folgenden Liedzeilen gedichtet hat, konnte von dem all dem nichts wissen. Oder doch?

Ihr Kinderlein, kommet, o kommet doch all’!
Zur Krippe her kommet in Betlehems Stall
und seht, was in dieser hochheiligen Nacht
der Vater im Himmel für Freude uns macht.

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