Stillleben mit Allzweckreiniger

Quasi eine „Entschleunigung“ (Paul Virilio) der Welt ist die Gattung der Still-Leben, eine Fortschrittsverweigerung, ein Festhalten am Situativen, die Darstellung unbewegter Gegenstände in Anordnung fern ihrer natürlichen Umgebung, die der große Beweger gewissermaßen verschmäht oder doch bis zu einem Punkt vergessen hat. Da liegen sie nun, während sich das Rad der Weltgeschichte weiterdreht – von Malkrise zum Sommerurlaub. Die Äpfel sind längst verfault, das Wasser in der Schale verdunstet und der Maler missgestimmt, nicht nur deswegen. Caravaggio, Brueghel, Cezanne, Morandi sind die Meister ihres Faches, die mit Äpfel und Birnen würfeln, das Kerzenensemble geraderücken und als Christenmenschen der hinter einer Wolke verschwindenden Sonne einen furchtbaren Fluch hinterherschicken. Das Licht!! Zum Teufel, wo ist das Licht!!! Die Nachfolger der Stilllebenmeister sind die Fotografen, die ihre Nasen in alles und nichts hineinstecken. Detailverliebtheit, die gesuchte Nachahmung der Wirklichkeit ist eine stetige Herausforderung. Das kunstvolle Arrangement von Pflanzen und Geräten ist heute sehr viel einfacher zu bewerkstelligen mit einem Produkt der Firma A. und einer Beleuchtungsmaschinerie, von der Reihenfolge des Einsatzes natürlich andersherum. Nachstellungen und Reproduktionen sind jederzeit möglich. Es sind also bessere Zeiten für die Christenmenschen, dank Technik wird die Sünde ausgerottet. Dennoch haftet jeder Situation etwas immanent Flüchtiges an, atmet doch jedes Bild nicht nur durch den Hauch des Fotografierten, d.h. das energetische Feld des oder der Gegenstände, sondern auch des kaum gezeigten und sichtbaren Raumes. Viele sagen, das Letzteres entscheidend ist. Und so sind die neuen Caravaggios & Co bereits ein Auslaufmodell wenn das situative Nachstellen mangels Raum, der wie die Zeche General Blumenthal, bereits abgerissen worden ist, nicht mehr geht. Tja, das war’s dann und jetzt geben wir wieder Gas!

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