The city beats like a heart

Auf der Rückseite der Infobox von „Urban Lights Ruhr“ in Marl finde ich den Schriftzug „The city beats like a heart“. Wow! Habe ich so hier nicht gesehen und gespürt. Da ich aber schwer annehme, das die Infobox schon seit mehreren Veranstaltungen immer wieder recycelt wird, ist der Spruch dann doch ein wenig okay. Denn ansonsten würde ich eine erweiterte kunst- und sozialgeschichtlichtliche Einordnung benötigen, um diese Worte für Marl verstehen zu können. Denn für ein wirklich schlagendes Herz müsste man ähnlich wie für die Steinkohle schon sehr tief bohren. Das ist aber Ende 2015 mit der Stilllegung der Zeche Auguste-Victoria aufgegeben worden.  Das scheint aber auch der Einleitungstext des Programmheftes so zu sehen; spricht dieser doch vom Stadtbild Marls, das geprägt ist „im Stil der Ruhrmoderne und des sog. Brutalismus. Denkmalgeschützt und sanierungsbedürftig erzählen sie von der Schönheit vergangener Tage und einem unbändigen Glauben an die Zukunft, der den Zeitgeist der 1960er Jahre entscheidend formte. Stadtutopien und Moderne sind untrennbar miteinander verbunden. Besonders in Marl verkündeten einst grandiose architektonische Utopien eine neue Ära, die heute noch auf sich warten lässt.“ Das liest sich beinahe wie aus der Feder eines Lektors des Versandhauses Manufactum, der auch den folgenden Titel entworfen haben könnte: „Licht.Stadt.Utopie – Urban Lights Ruhr eröffnet neue Sichtweisen auf die Stadt“. Das ist aber ziemlich daneben. Für mich wirkt das Ganze ziemlich zusammengeklatscht; wirkliche Utopien und neue Sichtweisen kann ich nicht wirklich erkennen. Und sollte es zutreffen, das dies das letzte „Urban Lights Ruhr“ nach Bergkamen, Hamm und Hagen ist, da mit der Veränderung von Katja Aßmann nach Berlin unklar ist ob diese Veranstaltungsreihe fortgeführt wird, wäre Marl ein sehr trauriges Finale.

Apropos Utopie nochmal; glauben eigentlich die Veranstalter selbst an sich und das Motto? Auch da habe ich meine Zweifel und vermisse schon beim ersten Lesen im Programmheft einen politischen Duktus, der wunderbar z.B. für die Installation auf dem Forumsplatz hätte umgesetzt werden können. Denn die Beschreibung von „Applausreigen“ von Sans façon ist mir in dieser semantischen Form viel zu unpolitisch. Zwar wird mir applaudiert, weil ich da bin. Das ist das eine. Wichtiger wäre aber zu erwähnen, das ich durch meine physische Anwesenheit den zuvor von anderen Menschen verbauten Platz wieder belebe. Nur dafür sollte es Applaus geben. Und damit bekommt jetzt mein Sein den utopischen Charakter und weist über das Jetzt und die rein hedonistische Zeit hinaus.

Aber dennoch, etwas Gutes hat diese Veranstaltung „Urban Lights Ruhr“ trotzdem. Ich bin nach Marl gefahren, in eine Stadt, die ich außerdem dem Namen bisher kaum kannte und kann jetzt die negative Utopie der eben vergangenen Wahlwerbung „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“ noch besser verstehen und einschätzen.

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