Bandsalat

Mein erster eierte – aber nach dem Aufladen der Akkus von 14 Stunden kam in die Musik aber direkt ins Hirn, gradlinig, laut und unzensiert. Das MP3- oder AAC-Format von digitalen Musikdateien heute verschluckt ganze Frequenzbereiche. Bässe klingen hohl, die Höhen aufdringlich, oberflächlich, kurz gesagt ist sehr schlecht. Aber vermeintlich praktisch.

Der technische Fortschritt nimmt keine Rücksicht auf Verluste, aber er schafft Erinnerungen. Am letzten Wochenende gab der Elektronikkonzern Sony bekannt, keine weiteren Kassetten-Walkmans zu produzieren. Nach mehr als 30 Jahren stellen die Japaner die Fertigung ein. Es mag sentimental klingen, aber es ist wahr: Das Aus des ursprünglichen Walkmans ist eine Zäsur in der Musikkultur, die sich schon länger abzeichnete. Was bleibt, ist die Idee, Musik immer und überall hören zu können. Aber spätestens seit selbst ernannte Hipster mit weißen iPod-Kopf hörern Anfang der Nullerjahre die CD beerdigten, ist der Musikkonsum ärmer geworden.

Der Plattenladen, eine Oase entspannten Stöberns, stirbt aus. Nach einer Kassette, CD oder Schallplatte zu suchen, ist wie in der Zeitung zu blättern und mit dem Papier zu rascheln: ein überraschender Genuss für die Sinne. Das Entdecken eines schönen Covers, das Kunstwerk an sich, sagt auch über das Zeitverhältnis des umhüllten Produktes zu sich selber. Ich denke hier etwa an die Labels ECM und Winter & Winter. Gerade letztere sind auch gefragte Kunstobjekte, wie mir mal ein Händler in Graz erklärte. Und erst das Probehörerei, das anregende Knistern und Rauschen, ist Hörgeschichte. Sicher kann man noch Probehören, aber myspace, amazon sind nicht wirklich ein Ersatz. Außerdem gibt es dort auch nur komprimierte Formate.

Und zum Schluß ist nur eine Frage der Zeit, bis unsere Sprache vor diesem Kulturverfall kapituliert. Das schöne Wort Bandsalat, den Kassetten produzieren konnten, steht nicht mehr im Duden. 2006 wurde es in die Liste der bedrohten Wörter aufgenommen. Über die Goldene Schallplatte und das CD-Regal spricht man noch. Wer mag schon eine Goldene Musikdatei? Ein Regal braucht man ja nicht mehr, eher eine zusätzliche Festplatte, die aber aufgrund der Menge der Daten (Menge der Musikstücke x Anzahl der im Privatbesitz unkompatiblen Player) keine wirkliche Ordnung schafft. Diese sollte sich sowieso jeder zulegen, denn wer kann sich schon vor einem Computerabsturz schützen? Alles ist dann weg – früher hatte man wenigstens nur einen Bandsalat, worüber ich mich immer furchtbar geärgert habe. Das war insbesonders eine 120erCassette von BASF mit einem roten Label. Die Menge und die Spieldauer also machts nicht.

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