Unter dem Wiegeturm vor der Kokerei Zollverein ist die Leistungsschau der Industrietechnik aufgebaut. Auf neu terrassierten Schotter stehen Stempel, Schrämladerkopf, etc. – industrielle Kohlestahlkolosse allenthalben, verrostet, verstummt, museal. Willkommen deswegen in Dingskirchen. So heißt der neue Asterix in Ruhrdeutsch. Darum geht es hier aber nicht. Oder doch. Denn Dingskirchen ist natürlich irgendetwas mit Strukturwandel und um den geht es hier dann doch. Und dann vielleicht um das Ende, wenn Ende 2018 mit Prosper Haniel die letzte Zeche im Ruhrgebiet schließt. Mission completed. Und dann?
2018 wird man leider das Steigerlied im Ruhrgebiet zu oft hören. Und das Steigerlied war es auch, daß die neuen Mieter aus Dingskirchen respektive Trabantenstadt bei Asterix wieder hinauswarf. Und dann kommt wieder der Wald. Das alles sieht dort ein bisschen aus wie auf manchen Kupferstichen von Giovanni Battista Piranesi. Ein vollständiger Zwischenraum. In die Gegenwart transformiert. Auch das ist ein Stück Ruhrgebiet.
Auf dem Weg zur Ausstellung „Das Zeitalter der Kohle“ (27.04. -11.11.2018: UNESCO-Welterbe Zollverein, Areal C [Kokerei], Mischanlage [C70] Arendahls Wiese, 45141 Essen) fiel mir ein, das der Titel dieser wunderbar doppeldeutig ist und ich gespannt bin wie diese eben den nicht technischen Teil auflöst. Denn das Technische selber lässt sich durch das Finden und Aufstellen von leihbaren Exponaten schnell mundgerecht präsentieren, wie schon zu Beginn am Wiegeturm der Kokerei gesehen.
Zugegebenermaßen, ich gehe nicht absolut unbeleckt in die „Mischanlage als der Gropiusbau im Ruhrgebiet“, wie Theo Grütters gesagt hat und deswegen auch das Entdecken einer möglichen Doppeldeutigkeit im Titel, las ich gerade erst den interessanten Buchtitel von Ingrid Krau „Verlöschendes Industriezeitalter“ in dem es um das Ende der fossilen Großtechnologien mit ihrer raumgreifenden Verbundwirtschaft und den daraus resultierenden heute vielfach ungelösten gesellschaftlichen Fragen geht. Was denn hinterlässt das „Zeitalter der Kohle“. Diese Frage wird in der Ausstellung nicht wirklich beantwortet und auch ein diesbezüglicher Satz in der Ausstellungseinleitung heute „wer seine Wurzeln nicht kennt, kann auch die Zukunft nicht gestalten“, ist dann irgendwie nur restaurativ.
Überhaupt geht es bei vielen Dingen um das Große und um die Schlagworte. Das aber ist seit der Industrialisierung in vielen Dingen Ruhrgebiet live. Oben habe ich schon den Begriff Leistungsschau benutzt, jetzt ergänzt durch Technikschau. Was alles nicht falsch ist – und natürlich in den Köpfen der Besucher hängen bleiben wird – die oberste Etage in der Mischanlage ersetzt ein bisschen in klein das gerade geschlossene Bergbaumuseum in Bochum, das erst nach Ende dieser Ausstellung Anfang Dezember 2018 wieder eröffnen wird. Interessant in diesem Zusammenhang wäre die Frage wie „Das Zeitalter der Kohle“ bei geöffnetem Bergbaumuseum ausgesehen hätte. Vermutlich ganz anders. Auf jeden Fall vielleicht gesellschaftspolitischer. Denn die Gegenwart – als eine Ära des Poststrukturwandels ist nicht wirklich da. Das Wort Strukturwandel selber ist ja nur noch ein leeres Politschlagwort, müde und zerrieben vom permanenten Gebrauch seit fast 70 Jahren. Was sehr schön in der Ausstellung zu sehen ist. Die Trichterebene der Mischanlage ist mit dem Thema Höhepunkt und Abschied der Hochphase und Folgen der Kohle gewidmet. Leider geht es bei den hier stehenden zwölf Ausstellungstischen nur bei einem um Landschaftsveränderungen und damit um spürbare Folgen durch den Bergbau. Dieser Tisch – oder ein Film über CO2 und Smog – wird aber als Erinnerungsbild gegen das Modell einer Raffinerie in gleicher Tischgröße wenig Bestand haben. Oder gegen einen echten alten Ford Taunus in hellblau fast daneben. Und so bleiben die Folgen auf den Menschen irgendwie auf die erwerbbaren Dinge reduziert; buntes Plastik der 70er Jahre, daneben geschichtliches, auch an anderen Stellen außerhalb der Ausstellung nachlesbares, Wissen über Sozialpartnerschaft, Montanunion, etc. Alles ist irgendwie drin. Das ist richtig und auch nicht falsch. Bezieht aber nicht wirklich Stellung bzw. überlässt dem einzelnen Besucher über seine Erinnerung die Bewertung dieses Zeitraumes als Teil des europäischen Kulturerbes. Das Zeitalter Kohle hat aber gesellschaftspolitische Strukturen – bis heute – geschaffen, die nicht hinterfragt werden, die aber mindestens einer Diskussion oder Veränderung bedürfen. Mit der IBA betrat man vor langer Zeit mal wirklich neues Land und dann folgten vielfältige Verwaltungsakte in Form von großen Wechselausstellungen. Großveranstaltungen wie Kulturhauptstadt Essen 2010, Grüne Hauptstadt Essen 2017 und die kommende IGA 2027 sind lediglich europäische Dauerbespielungen an wechselnden Orten. Und nun … ?
Und beim Verlassen der Ausstellung, beim Hinuntersteigen der letzten Treppe der Ausstellung von der Bunkerebene gerade herab geht mir durch den Kopf, das hier – im Rollenlager, jenseits der Menschen und Maschinen im Bergbau – vielleicht ein wichtiges Exponat fehlt. Denn gerade stand in der Presse, das das Ruhrgebiet mit einer olympischen Bewerbung 2032 liebäugelt. Das Zeitalter der Kohle ist also noch nicht zu Ende. Alles bleibt wie es ist. Fortsetzung folgt … !